birgit kreipe



mein vater der produzent




mein vater

abnehmender mond

blau

augenabwärts gesichelt

die wangen leer

wie gerade die wächsernen brotbeutel der schüler

gegen hungrig knisternde knochen gehalten

schnell die blicke am feuer,

wo das bild des grossvaters hängt

der mann der die frau die dich liebte liebte

die frau der er starb die dich liebte dir starb

die liebte den mann und den totenkopf


mein vater und ich

auf lederwürfeln

auf holz

in mode

als ich ein kind war


schwindet ohne noch viel zu reden sitzt

einmal kurz vor meinem Leben

ein kopfschüttelnder produzent

und dreht sich wieder zum feuer

wie man einen verwackelten film anschaut,

ohne kopfweh zu bekommen: von ganz weit weg






rudern in dresden



lecken unsere boote

an der oberfläche des flusses

ein weisser doppeldreier

kreischt uns voran,

schwebt, flocken,

vor geschwärzten ziegeln


komm, lass uns langsam fahren

knoten lassen, nicht verstehn

was sprache ist, nicht

warum am untern wolkenende

drachengelb ein haus schwebt

in den heuschwaden der brache


nicht immerzu verstehn, warum

du nimmer mein geliebter bist

und auch nicht dauernd diese

möglichkeit bei dickinson

die giebel dieser stadt sind schwarz

zerhackt, der himmel bald verbaut

und unser zimmer

impregnable of eye-


komm, wir wollen langsam fahren,

brücken zählen...waden des barock

auferstandene ruinen

überm blauen wunder weltraumschrott...


taucht eine schwarze kirche auf

wie ein verlorner krieg

die ersten lichter sah sie noch

erblindet warnt sie immer noch

krähennest und witwe

dieser februarnacht


komm wir ziehn das boot an land

der himmel wird jetzt heller

wir überklettern zäune

wie verbote


ein alter garten schliesst uns ein

langsame rosenflotte

blinken im kirschbaum,

grünes tasten der nacht







usedom


an einem blauen dorn hing ich über dem meer

im himmel also. wartete auf einen moment von

schönheit. das absolute gedicht würde allen

gefallen. den schatten fräßen fische. elemente

tobten, möwen auch, sah graue zahnreihen

erkannte hotels. die wut der wogen scheiterte

am strand. das land zog seine krägen fester

sah südwester, tonnen frisch geölten fleischs

auf wogen zappeln, fern den horizont, wo

schiffe kämpften. erkannte über das meer

dies: der letzte fisch hätte zitronenschnitze im

maul. den letzten touristen äßen die dünen

das letzte gedicht würde als spätverkauf

wieder eröffnet. die letzten mädchen würden

unverweslich und durch schönheit legitim

für immer zwischen trümmern liegen, armreifen

im wind klappern und durch jahrhunderte leuchten

der dorn würde grösser. das letzte gedicht

würde die form von wellen annehmen

dann ginge alles von vorne los, und in der

nächsten welt wäre das hier wieder ein badeort











urheber


diese schlaflosigkeit

gehört dir, wie ein gedicht

sie ist so hell

wie man zum lesen braucht

sie dauert beinah ewig

sie ist keine zeit


das metronom das die momente

zählt ist ausgegangen

so unbewacht so kommt

die blaue schrift ganz ohne zeichen

und ohne laut, die stunden fliegen

wie bienen, die in den tod fliegen,

zu all den stunden, die schon dort sind,

in diesem leeren schwarzen theater

das von irgendwoher um mein leben

wächst wie stunden


versammelt, aufgeregt,

als läge land hinter den kissen

wachliegen der zeit zusehn

die nicht vergehen kann die schrift

die kommt ist blau wie eis

minuten fliegen bienen, jahre

ich liege still, das metronom

das die momente zählt es schläft

blau ist der umgedrehte himmel unterm schlaf

ich zähle jedes wort,

warum ich dich wieder und wieder

lesen muss heut nacht

es dämmert und

ich achte nicht






schneenacht

die nacht ist weit geöffnet
und ruht aus,

der schnee perlmutt,
wolkenfäden umschlingen das licht

am tierkreis brennt schon
das weisse feuer des frühlings

die lunge der erde
hebt und senkt sich

am horizont
roter lidschlag des morgens

Birgit Kreipe, geb. in Hildesheim,
Kindheit und Jugend auf dem Land
Studium der Psychologie und Germanistik in Marburg, Wien und Göttingen,
seit 1994 als Buchhändlerin, Psychotherapeutin, Autorin in Berlin
Mitglied in verschiedenen Autorengruppen,
Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften und Anthologien
(zuletzt in erostepost, Ostragehege, lauter niemand, Brücke, Matrix)
zahlreiche Lesungen, zuletzt poet's corner/Poesiefestival Berlin 2009