Mara Genschel

Allerlei Beiwerk

Eines Tages beugte sich die Teekanne vornüber und fiel vom Stövchen. Weil sie aus Glas war, zerbarst sie in abertausend sternengleiche, eine Handvoll Rosenblüten hatte ich mit Wasser aufgegossen, weil sie aus Glas war, Funken und zersprang am Boden, die dunklen, aufgedunsenen Blätter nun im Staub der glomm. Da ging ich dann halt Schwimmen. Der See war tief und still und kochte nicht; und ich entstieg dem See und fühlte mir die Undine, war auch nackt, aber niemand leider sah mich, und ich setzte mich ans Ufer, nah den Seerosen unters Laub und las ein gutes Buch. Hierbei riss Sonne sich Rinnsäle durch Weidenzweige und Strähnen, um feine Muster aufs Papier zu streuen, scharf, bis die Buchstaben muckten und tanzten, bis ich die Lider schließen, und meinen Kopf in den Klee legen musste, weich zu träumen. Liegend, lauschend dachte ich zwei Worte: Singend Kind. Weil was da ratternd fuhr, plastikblau, berauschend engagiertes, dreirädriges Stimmchen: als ich einmal reiste. Da war ich die Kleinste. Da war schon der Abend von dem Tag, an dem die gläserne Teekanne sich vornüber gebeugt und vom Stövchen fallen lassen hatte, und ich hatte schon längst Strümpfe an, und saß auf meinem Balkon im zweiten Stock, lächelnd auf den Rest schlendernder Jugend hinabblickend. Trank lecker dicken Whiskey und ließ einen straffen Hauch Freejazz durch die Küchentür schnellen, sich wild mit dem Rauch meiner Kippen mischen. Flackerten Flammen zweier großer Kerzen ganz hell und wüst, als hätten sie den Beat begriffen. Im Kopf noch Moskau mit Freunden, am Boden die Splitter, und auf den Lippen, trotz Jazz, helles Liedchen: als ich einmal. Möcht am liebsten sterben, da wärs auf einmal still.

Nächsten Nachmittags kaufte ich mir Eis; in der Stadt, am Marktplatz. Ich wählte Kokosnuss und Himbeere. Das passte dann auch ganz gut zu meinen Schuhen. Dann ging ich in den Park und las weiter in meinem guten Buch, denn ich war Studentin.

Im Herbst des darauffolgenden Jahres kochte ich Milch, hochprozentig fett, und rührte sie um, in einem kleinen Topf mit einem Holzlöffel. Das roch gut und tröstete, wie eine langbewimperte Kuh das tut. Ich fühlte mir die Landliebe Bäuerin mit Kopftuch und musste mich setzen, weil ich so schön war. Dann tat ich mir Lippenstift drauf, weil vorher war schon Abend gewesen, der wurde jetzt langsam zu Nacht, und ich wollte ja noch tanzen gehen. Da war übrigens auch wieder viel Musik.

Später im Jahr kamen dann dicke, drall hübsche Schneeflocken vom Himmel gewirbelt und ich kaufte mir eine schicke Pelzmütze und Handschuhe. Und fing irgendwann an, mit den Spiegeln zu tanzen; und die Bratsche lächelte so lieb den Cellisten an. Und würzig rieselten Nadeln auf Geschenke für mich und Himmel spie die Flocken dichter, dass alles weiß, war was alles weiß, auch der Cellist lächelte liebst, verliebt, zurück ans dritte Pult wir alle weinen, wenn; und lachen Tränen und dann; und wie mir die Haare wuchsen, zu Zöpfen; und auch Männer, schöne Männer anders, und auch diese, jene Frauen, so, anders oder solche halt, man reiste halt und beugte, trank viel, fiel tief und dann doch wieder auf vier von Tatzen und hier wurden ja Tränen sogar fotografiert und die Rahmen waren grün und die Wände waren rot, man digitalisierte auch Genitalien und eine Klaviertastatur gleich blindlings mit; was ich trank war alles hochprozentig flüssig.

Und das, was eigentlich bleibt: nur Wasser; so ungekocht gar wie nichts wie Wasser, rein so was, ohne Dampf, Wasser ohne Salz oder auch Blumenblüten oder zum Baden so Öl, ganz so gar nur Wasser, Farbe null und Zustand zwei mal Wasser, Wasser. Aus einem kühlen Grunde.

erschienen in der Tippgemeinschaft 2007

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