Katrin Heinau


Treptow


Das ist bei uns. Man kann es lieben. Notärzte kommen und gehen auf die schrägliegende Baustelle. Nicht jeder hat alles dabei und ruft den nächsten in die zweite Spur. Der Bus bleibt in der Müllabfuhr stecken. Lachen Sie nicht, lachen Sie nicht. Drei Ambulanzen fahren gleichzeitig vorbei, für eine verkehrsberuhigte Zone sind das sehr viele.

Pinguine überqueren die Straße. Sie gehören ins Badezimmer und watscheln die Treppe ab. Und aufwärts geht die Post in den 4.Stock. Hier heißt jemand Jonny. Schon kommt die Polizei und die Polizistin. Es muss sich um einen Betriebsunfall handeln. Es wird viel gebaut und es fiel jemand herunter. Guten Absturz, raunzt man im Kiosk. Aber muss man die Häuser denn auch sanieren? Kann das nicht ohne Menschen, Tiere und Alkohol geschehen?

Inzwischen kommt noch ein Feuerwehrzug. Die Aidshandschuhe der Männer verheißen nichts Gutes. Ein Mann küsst einer Frau die Hände um sie abzuhalten, die Straße weiterzugehen. Die Bauarbeiter, sie müssen doch wissen, was sie tun? Die Kanalgräber. Jemand ist in die Kanalisation geschwommen? Kann man denn gar nichts tun? Solche Dinge passieren? Man muss warten auf der anderen Straßenseite. Das Blaulicht kratzt im Augenwinkel und illuminiert meine Zähne. Ich will nicht unvorsichtig sein und ziehe mich wieder hinter den Vorhang zurück. Es sind die Johanniter, die sich schon einmal mit freundlichen Worten in die Wohnung gedrängt haben und uns, in schlimmer Erwartung, um den Tisch getragen haben. So zeigen sie, wer hier als erster zur Stelle ist in dieser Gegend, und wessen Hubschrauber im Blumentopf landet.

Es dauert lange, bis der Verschüttete, Ersoffene, Heruntergefallene herausgezogen und eingeschweißt ist in die orangefarbene Folie der silbernen Trage, die alle Kleidersammlungen durchbricht. Wer von rechts und links kommt, wird von den gemächlich schlendernden Feuerwehrleutnantsstiefeln zertreten. Eine Mücke, ein Elefant. Die Frau mit den geküssten Händen geht weiter und hat nichts mit der Sache zu tun. Das Leben rollt auf vier Rädern dem Unfall entgegen, was man zuletzt sieht ist das erleichterte Lächeln der Rettungsärztin im Kasten und das erschrockene Gesicht des Mannes, der täglich seine Boote kontrolliert.

Der Archenhold von hier. Der Archenhold besitzt eine Himmelskanone, welche bei Hochzeiten abgefeuert wird. Rechts und links auf den Chausseen unter den rindenwerfenden Bäumen, den Mammuts der hiesigen Fauna, brechen sich Kutscher ihre Achseln. Dass Dämmmaterial für das Unglückshaus wird gleich nach dem Abtransport des verletzten Bauarbeiters geliefert. Die Kanone hat ein Leck und etwas Pulver fliegt seitwärts in ausgetretene Pfade. Der Park mit der Sternwarte ist ein altes Ausflugsziel der Leute, die sich von nichts abschrecken lassen.

Die Kanone im Grünen zieht des Unholds Lächeln nach sich wie eine Tigerente. Der kleine Bär pflegt dich gesund, morgen bist du dran. Ob mit Herzchen oder ohne, ob blau oder rot, Vene oder Arterien, artelleriegestützt, venös, venerös, oder genial. Eingeriebenes Verlangen nach weiblicher Klaviatur, leg dich erst mal hin, zieh die Schuhe aus. Die Nacht bricht ein und du schaust durch die zweite Tür. Das legt sich wieder so wie du, jeden Abend. Alles legt sich nieder. Und wieder nieder. Und wieder. Miederwaren ist ein unschönes Wort. Der Notarzt kommt und knüpft das Mieder auf, herausquillt ein Bauarbeiterkanalrohrfahrer. Die Himmelsscharteke war wohl eine Schrapnelle. Wir nehmen an, er ist in die Schrapnelle gefallen, noch liegen Bomben im Teich und die Autobahnen werden gesperrt.

Bandnudeln auf dem Band. Überall musst du durch, um die Ware an die Kasse zu tragen. Die Bierhäuser Supermärkte glänzen in den Bezirken, so auch die Haut. Die Verkäuferschichten spiegeln sich in den Käufernotdürften, die gleich auf dem Gehweg verrichtet werden. Visionengleich türmen sich Türme und stapeln sich Stapel und bändern sich Bänder und begatten sich Gatter. Das Zaungewitter greift um sich, dann kommt die Polizei. Ein Niemand hat eine Bierflasche auf den Weg der anderen gestellt. Alles gehört dem Land, der Gemeinde und die ist gemein. Eine Gemeinheit der feinsten Art wir wischen das Hundekot an den Autobesitzern ab, die haben die stärkste Lobby für ihren Protest! Und nehmen was mit nach Hause, zum Einfrieren und Auftauen. Manch redlicher Hundekotbesitzer mag sein Liebchen schon in der Tasche vergessen haben. Da west es und fräst es. Da frisst es und vergisst es. Ein Eisen macht noch keine Zeit. Ein Auto macht noch keinen Bürgermeister. Eine Montagsdemo macht noch keinen Stammtisch. Aber ein Hund macht eine Straße. Da gehst du und bleibst stehen. Ein neuer Zebrastreifen lockt dich. Du bist nicht sicher, war der gestern schon da? Bremsen quietschen, du überlegst. Der Verkehr lahmt, geht am Stöckchen. Du zückst den Regenschirm und piekst in die Luft, nein, keine Fata Morgana. Eine Autoscheibe splittert. Derweil gehst du rüber. Und während du drüben dem Geschehen nachsinnst, die nächste Autoschlange sich bildet, rasen die Köterkolonnen von Südwesten nach Nordosten, angeblich um das Kulturgefälle auszugleichen. Die Illyrier hatten lyrische Hunde. Die Spanier hatten Spaniel.

Du bist ein Spitzel des Spitz, findet der Schäferhund und kläfft dich weg von der Weide. Du bist ein Serbe, findet der Dalmatiner. Du bist ein Benediktiner, findet der Bernhardiner. Du bist ein Wolf, findet der Hirtenhund. Du bist das Meer, findet der Dackel. Du bist die sengende Sonne, findet die Alaskapelzlaus.

Männer und Frauen strömen in die Kinos. Freitags suchen die Männer den Muskelporno aus, Samstag stellen die Frauen den Gefühlsporno an. Hinter den Palästen die Kutschen fahren zum Krematorium. Treptow hat die größten Friedhöfe Ost-Berlins, wenn du dich umdrehst, kannst du den Fernsehturm sehen.


(veröffentlicht in lauter niemand Ausgabe 8)



Katrin Heinau, geb. 1965, lebt in Berlin. Sie studierte Literaturwissenschaft, absolvierte eine Schauspielausbildung, arbeitete als Dramaturgin, Schauspielerin, Antiquarin, Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache. Sie schreibt Prosa, Lyrik, Theater- und Hörtexte. Im Leipziger Literaturverlag erschienen zuletzt die Erzählung Der Papst ist ein Schwede (2007), das Hörbuch Vendelzeit (2008) sowie bei KRASH Neue Edition im Stahl-Verlag das Lyrikdebüt Neue Einkaufsgedichte (2008).