Das Leipziger Literaturfestival im Herbst 2009
Wer an Literatur denkt, stellt sich zunächst und vor allem bewegende Bücher darunter vor, die von den großen Themen der Menschheit handeln: Liebe, Erfolg, Schicksal etc. Wenn uns aber in den Netzen unserer Orientierung ständig Text, ständig Sprache begegnet (man denke etwa an Werbung, Bedienungsanleitungen, Hinweistafeln, Gesetzbücher, aber auch an das persönliche Gespräch) kann eine Literatur, die sich als künstlerischer Umgang mit den sprachlichen Artefakten unserer Wirklichkeit versteht, mehr sein als ein zwischen Buchdeckeln eingesperrter Ausschnitt menschlicher Erfahrung.
Längst hat die Literatur sich andere Wirkungsfelder und Medien erobert.
Das 1. Festival textenet.de gibt dieser Bewegung Ausdruck.
Im Oktober und November jähren sich jedoch auch die Ereignisse der friedlichen Revolution zum
zwanzigsten Mal. Ein noch immer zu selten gewürdigter Aspekt der widerständigen Literatur jener Zeit
ist der selbstbewusste Umgang mit der Tatsache, dass diesen Texten aus politischen Gründen der
Eingang ins Buch verwehrt wurde.
Texte suchten sich in Bild und Ton neue Podien. Auf oft überraschende Weise gingen diese literarischen Strömungen Verbindungen mit Musik und Bildender Kunst ein und spielten damit eine Vorreiterrolle auf dem Weg ins Medienzeitalter.
Ausstellungen zu Valeri Scherstjanoi's Scribentismus mit Arbeiten seines Vorbildes Carlfriedrich Claus oder neue musikalische Bearbeitungen des Werks von Bert Papenfuß erinnern daran und zeichnen diese Traditionslinien in die Gegenwart weiter. Eine Reihe von Studenten und Absolventen des deutschen Literaturinstituts fragt nach den Möglichkeiten der Literatur, Sachtexte in szenischen Lesungen künstlerisch aufzubereiten.
Im Grenzfeld zwischen Fiktion und Wirklichkeit operieren auch die Veranstaltungen mit Radjo Monk, Rainer Tetzner und Friedrich Schorlemmer. Diese Veranstaltungen widmen sich den Konflikten des Herbst '89.
Die Rückschau auf den Zusammenbruch des sozialistischen Systems fordert aber auch die Frage nach der Gegenwart und ihren Krisen heraus. Wer könnte dafür besser einstehen als Gerhard Zwerenz und Günther Wallraff, zwei Autoren, die seit Jahrzehnten die gesellschaftlichen Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland kritisch begleiten?
Dass in dieser Vielfalt der Stimmen und Ansätze aber auch die Traditionen der Literatur ein gewichtiges Wort mitzureden haben, dafür ist die Nacht der Autoren ein Beispiel, die in diesem Jahr das Sonett als ewig alte ewig junge Gattung in den Vordergrund stellt.
Ein Internet-Literaturwettbewerb ( vom 19. - 25.11.) in dessen Rahmen auch zwei kleine Literaturpreise (einer für den Raum Leipzig und ein überregionaler) vergeben werden, begleitet das Festival.